Filmkritik: The Descent - Abgrund des Grauens

Regie: Neil Marshall
Drehbuch: Neil Marshall
Jahr: 2005 (UK)

Bravo! Finalement! At least!
Ein Horrorfilm, der in einer Höhle spielt.
Man sieht nur nichts.
Dabei hat uns Neil Marshall, der so lange auf den Film gespart hat, ausdrücklich gewarnt: "Dieses Setting kommt in Horrorfilmen bislang kaum vor, dabei erfüllt es alle klassischen Anforderungen. Horrorfilme spielen im Dunkeln, und dunkler als in einer Höhle kann es eigentlich nicht werden."
Recht so.
Zu Beginn des Films begegnen wir den sechs Hauptdarstellerinnen, allesamt in gebärfähigem Alter, bei einer Raftingtour. Damit später noch ausreichend Zeit für die Höhle bleibt, landen sie schon mal mit ihrem Schlauchboot knirschend im Uferkies, wo Sarah (Shauna Macdonald) bereits von ihrem Gatten Paul nebst Töchterlein erwartet wird. Auf der Rückfahrt über eine einsame Waldstraße wird der gute Paul dermaßen von Frau und Kind zugenörgelt, dass er einen bedenklich langen Blick hinüber zum Beifahrersitz wirft, und - als hätte man es erwartet - schon taucht der erste Gegenverkehr seit ungefähr 50 Meilen hinter einer Hügelkuppe auf. Die folgende, durchaus schockierende Szene umgibt ein zarter Hauch von Final Destination, und dann ist Sarah auch schon wieder kinderloser Single.
Ein Jahr später treffen wir das Sextett kurz vor ihrem Trip zu einer unerforschten Höhle wieder. Eine Blockhütte in einem Gebirgszug der Appalachen: Sarah, noch immer trauernd und von Alpträumen geplagt; Juno (Natalie Mendoza), das unangefochtene Cliquen-Alpha-Tier; Beth (Alex Reid), die Englischlehrerin; Rebecca (Saskia Mulder), die Klettermaus; Sam (MyAnna Buring), die unvermeidliche Studentin und, praktisch in einer Doppelrolle, Halbschwester von Rebecca; schließlich Holly (Nora-Jane Noone), The Wild And Restless Heart.
Es ist ein Lachen und Gibbeln, wie es unsereins nur von der Abschlussfahrt zum Landschulheim auf Norderney kennt. Am nächsten Morgen ist aber Schluss mit Lustig: raus aus den Puschen und mit dem Geländeflitzer rein in den Wald, wo sich alsbald ein gähnend Loch im herbstlich belaubten Boden auftut, gleich nebendran der skelettierte Brustkorb eines halbwüchsigen Brontosaurus.
Als Zuschauer ahnt man: ach herrje, da stimmt was nicht. Was täte der Zuschauer also: er stiege nicht hinab.
Als Darstellerin ahnt man: ach herrje, da stimmt was nicht. Was tut die Darstellerin also: sie steigt trotzdem hinab.
In der Höhle stülpen sich die Damen ihre Schutzhelme über die Frisuren und knipsen die Helmfunzeln an, so dass sie, eine wie die andere, aussehen wie Jupp im Flöz. Wie hatte Neil Marshall sinniert: "Dunkler als in einer Höhle kann es eigentlich nicht werden." Doch, lieber Neil, es kann, und zwar in deinem Film.
Was nämlich folgt, ist ein vage illuminierter Überlebenskampf in den Höhlengängen. Sprang da Holly? Schrie da Juno? Starb da Beth? Sarah immerhin kann man dabei beobachten, wie sie in einem anschmiegsamen Tunnel (Klaustrophobiker sollten hier ein Eimerchen fürs Schwitzwasser bereithalten) etwas unvorsichtig mit dem Hintern an der Felsdecke schubbert, und schon stürzt die halbe Höhle hinter ihr ein und klumpt den einzig bekannten Ausgang zu. Sechs Damen westwärts, lautet fortan das Motto, und ab dieser Stelle wird der Film beklemmend real: Frauen am Rande der Orientierungslosigkeit. Es geht über Stock und Stein und eine grauslig tiefe Schlucht (die Steinwurfprobe ergibt: Erdkern, mindestens), vorbei an naiver Höhlenmalerei und einem Bergsteigerhaken (der liegt da so rum). Dann endlich, eine Stunde Film ist mittlerweile gelutscht, kriecht der erste Crawler (Kriecher) durchs Bild, maulwurfsblind und von einer ähnlich erhabenen Schönheit wie Gollum. Bald stellt sich heraus, dass der Knabe hier unten mit seiner ganzen verlotterten Sippe lebt, und allen knurrt bös der Magen.
Und wie endet das Ganze? Blutig. Sieht man aber kaum. Zappendusteres Setting. Schwindelerregende Schnittfolge.
Ein Film für Hörspielfreunde ab 12.

Moers, 14. August 2006

«« zurück