Bert Finks Abenteuer mit Doktor Schmittke (Vio)

(Vorbemerkung: diese Geschichte entstand nach einem Beitrag im Inspirationsthread auf Kurzgeschichten.de. Folgende Wortvorgaben sollten die Autoren in eine Story umsetzen: eintausendfünfhundert Kaulquappen; ein rostiger Nagel, der sprechen kann; zuRgnu, die Unendlichkeit in Person und sein Hund Billy; die Abschaffung der Monarchie; zwöf Geheimagenten aus Kambodscha; ein Phantom-Gnu; der Blinddarm eines bekannten Politikers; die Erlebnisse eines Tiefseekraken auf Nahrungssuche; die Geschichte der Höhlenmalerei; ein Opossum namens Gustav)

Der Saal war erleuchtet von tausend Kerzen. Oben auf dem mit kostbarem roten Samt ausgestalteten Altar thronte eine goldene Gestalt, ein Abbild von zuRgnu, dem Unendlichen. Sein Gewand war mit edlen Steinen geschmückt und floß in dekorativen Falten zum Sockel aus Marmor. Zu seiner Linken lag ein königsblaues Samtkissen, auf dem ein teurer Plüschhund ruhte. Daneben war eine Arbeitsstelle für einen Bildhauer. Eine halbfertige Hundeskulptur stand dort neben ein paar Arbeitsgeräten.
Die Wände waren mit bestickten Teppichen geschmückt, auf denen Männer in altertümlicher Kleidung bei Forschungen und eigenartigen Handlungen zu sehen waren. In einer Ecke stand eine kostbare Vitrine. Sie enthielt allerlei rituelle Gegenstände.
Das warme Licht ließ die Gesichtszüge des hageren Mannes weicher erscheinen. Er kniete wie die anderen Männer in seiner Kutte auf dem harten Boden und sang mit tiefer Stimme inbrünstig das Gebet.
"Oh, großer Gott der Unendlichkeit,
oh zuRgnu, wir sind bereit,
dein Reich zu betreten.
So erhöre unser Beten
und steige hinab mit Billy, dem Felligen,
dem dir immer treuen Gesell..."
Sein Handy klingelte. Der hagere Mann wühlte unter seiner Kutte in der Hosentasche und stellte das Handy aus. Eine Kuttengestalt beugte sich zu ihm.
"So wirst du nie die Erlösung erreichen!" lästerte sie leise und kicherte.
Der hagere Mann biß sich auf die Lippe.
"Ich habe einen Plan, der uns den Unendlichen näher bringen wird als alles zuvor!" zischte er. "Und dann werden wir ja sehen, wer hier unendlich wird!"
Dann widmeten sich beide wieder dem Gebet. Der Saal bebte unter den letzten heiligen Worten. Die Brüder erhoben sich und schritten würdevoll zu einer Tafel.
Der hagere Mann eilte zum Ausgang des Tempels. Er streifte sich seine Kutte ab, und zum Vorschein kam ein adretter Butler mit Streifenweste. Schnell zog er sich seine Lackschuhe über und lief in den Fahrstuhl. Noch ein paar ordnende Handgriffe, dann war alles perfekt, als sich Sekunden später die Fahrstuhltür ein Stockwerk weiter oben wieder öffnete. Er rannte einen schmalen Gang entlang und kam zu einer Tür. Leise öffnete er sie und trat auf die Schwelle. Der Mann schob eine Scheinwand zur Seite, kam in einen Keller und zog die Tür mit dem Mauerdesign wieder zu. Schnellen Schrittes durchquerte er das niedrige Gewölbe. An einer Mauer hielt er plötzlich inne. Andächtig verneigte er sich vor zwei großen Flecken auf dem Putz. Das Handy klingelte abermals. Ärgerlich hastete er weiter, die Treppe hinauf, den großen Flur entlang. Vor der weißen Tür mit geschmacklos verzierter goldener Klinke holte er noch mal tief Luft. Dann trat er ein.
"Die Tür zu, Idiot!" kreischte Edi, ein hellhaariger Mann mit Brille und spitzer Nase.
Der Butler beeilte sich, seinem Wunsch nachzukommen. Edi hatte schon die Pumphose und rote Strumpfhosen an.
"Bringe man Uns den Pelz und die, eh, Krone!" sagte Edi mit hoher Stimme.
Der Butler eilte zum Schrank. Hinter ein paar langweiligen Anzügen öffnete er eine geheime Tür. Dort lagerte ein mächtiger Opossum-Pelz. Der Butler zog ihn hervor und hielt ihn Edi hin. "Eure Majestät ..."
Edi wurde unter dem Gewicht ein paar Zentimeter kleiner. In seinen Schnallenschuhen schritt er durchs Zimmer, glücklich lächelnd. Der Butler zauberte noch eine täuschend echt aussehende Krone aus dem Schrank. Edi neigte sein Haupt. Sein Lächeln wurde noch entrückter. Vor seinem großen Spiegel stolzierte er hin und her, ohne sich aus den Augen zu lassen.
"Und nun", richtete er sein Wort an den Butler, "wünschen Wir Unsere Milch!"
"Wie Eure Majestät befehlen", hauchte der Butler und entfernte sich.
Er eilte in die Küche. Unterwegs verschwand er in seiner Kammer und stach schnell ein paar Nadeln in eine graue Masse, die in einem gelblichen Sud herumdümpelte.
Edi allein im Zimmer klatschte zweimal in die Hände. "Wir befehlen ... eh, den Bau eines, eh, Sommer-Schlosses am See, eh ... aua!". Er preßte seine Hand auf den Bauch.
Der Butler kehrte mit einer Tasse warmer Milch wieder. Edi hatte den stechenden Schmerz überwunden und straffte sich. Er setzte sich geziert in seinen Samtsessel. Nachdem er die Milch in einen Silberpokal gegossen hatte, servierte der Butler. Edi leerte den Becher in einem Zug.
"Wir haben morgen einen, eh, anstrengenden Tag!" seufzte Edi. Der Butler nickte und nahm das Gefäß entgegen. Dann half er Edi beim Auskleiden. "Der Minister aus, eh ... au!"
"Der kambodschanischen Prov..."
"Jaja, der Minister kommt morgen, Uns seine Aufwartung zu machen, eh ...Ich, eh, Wir sind - urg!"
Edi krümmte sich und hielt sich den Bauch.
"Was ist Euch?" fragte der Butler. "Aua!" Edi ließ sich auf den Teppich fallen. Der Butler schritt ungerührt zum Bett, um es aufzuschlagen.
"Mein Blinddarm ...", preßte Edi hervor.
"Aber, Eure Majestät!" wandte der Butler ein.
"Jaja, Wir wissen es!" Edi versuchte, Haltung und Würde auszustrahlen. "Unser Blinddarm wurde Uns entfernt, als Wir, eh, zehn waren ... aber trotzdem! Er tut weh!"
"Wie kann das sein?" Der Butler grinste hinter Edis Rücken.
"Es ist eine Art ... Phantomschmerz", keuchte Edi. "Wer weiß, wo sich der, eh, Darm jetzt befindet." Dann zeichnete sich Entsetzen auf seinem Gesicht ab. "Oh Gott! Hoffentlich verschwindet Unser Schmerz bis morgen! So können Wir den Minister nicht empfangen!"
"Aber Majestät, die königlichen Pflichten..."
"Jaja, Wir wissen das!" Edi kroch ärgerlich einen Zentimeter in Richtung Bett. "Aber Wir können unmöglich in dieser unwürdigen Bückhaltung ..." Er sackte wieder zusammen.
"Also wieder den Doppelgänger?"
"Oh nein!" stöhnte Edi. "Nicht den Doppelgänger! Das letzte Mal mußten Wir uns dreimal entschuldigen und die, eh, gesamte Leibgarde eindecken mit diesen neuen Autos von, eh, eh ...! Und die Muschi hat auch schon einen Verdacht. Dieser Mensch ist Unser absolut nicht würdig!"
"Was schlagen Eure Majestät also vor?"
"Eh ...", Edi starrte in die Luft, dann ließ er den Kopf hängen. "Also doch den Doppelgänger ... Und bringe man Uns noch eine Milch".
Der Butler eilte hinaus. Edi kroch weiter jammernd in Richtung Bett.

Die ganze Nacht lag Edi mit schlimmem Bauchweh in seinen königlichen Kissen. Es wurde im Gegensatz zu seinen Hoffnungen immer übler. Den darauffolgenden Tag nagte er voller Sorge an seiner Bettdecke. Endlich kam der Butler, um ihm zu berichten.
"Und? Wie hat Uns dieser Mensch vertreten?"
"Eure Majestät sind mit Würde vertreten worden."
"Ja? Das freuet Uns ..."
"Obwohl ..."
Edi wurde blaß. "Was? Was?! Red schon, du, eh ..."
"Nun ... ", seufzte der Butler gekünstelt, "ein kleiner Fauxpas scheint doch passiert zu sein ..."
Edi war nun so farblos wie sein Haar. Mit großen Augen, die das blanke Entsetzen widerspiegelten, starrte er aus seinen Kissen. Der Butler räusperte sich, dann sprach er langsam und genüßlich weiter.
"Der Minister und Eure Majestät, äh, der Doppelgänger, haben auf Wunsch des Ministers ein typisch deutsches Spiel spielen wollen."
"Und?"
"Ich schlug 'Mensch ärgere dich nicht' vor ..."
"Und?"
"Der Minister war einverstanden ..."
"Und?"
"Euer Doppelgänger war begeistert ..."
"Und?"
"Und hat ihn nicht gewinnen lassen."
"Was?"
"Ja. Der Minister aus der befreundeten Provinz flog kurz vorm Ziel zweimal raus, hat dadurch verloren und ist ärgerlich abgereist."
"Oh mein Gott!" Edi standen die Tränen in den Augen. "Was machen Wir denn jetzt?"
Der Butler hob bedauernd die Schultern. "Ich weiß nicht ..."
"Aber du bist mein königlicher Diener und, eh, Berater! Laß dir gefälligst was einfallen! Der Minister muß wieder versöhnt werden!"
Der Butler setzte Denkermimik auf. Edi jammerte etwas von Verträgen, Autos, Atomanlagen, als der Butler sich räusperte.
"Ja? Ja? Rede Er!" drängelte Edi.
"Es gibt einen Weg, um herauszufinden, ob die kambodschanische Regierung der Provinz einen Groll gegen Euch hegt."
Edi setzte sich auf."Welchen?"
"Eure Majestät sind doch Mitglied im Aufsichtsrat der Firma Biogix".
"Ja, eh, und?"
"Ein deutscher Austauschforscher arbeitet derzeit in eben dieser Provinz in Kambodscha. Er macht irgendwas mit Tieren, jedenfalls bestellt er immer in Deutschland. Wenn er nun bei Biogix bestellen würde, weil von dort ein absolut günstiges Angebot kommt, so könnten wir einen Agenten als Lieferanten unbemerkt dort hin schicken, der dann die Lage auskundschaftet."
Ohne weiter nachzudenken stimmte Edi zu. Er veranlaßte am nächsten Tag kraft seines Amtes im Aufsichtsrat ein derartig günstiges Angebot, daß der Forscher dies unmöglich abschlagen konnte.

Der Plan funktionierte. Der Forscher in Kambodscha, Dr. Schmittke, ging natürlich mit Freuden auf das Angebot von Biogix ein. Bald darauf hatten die Leute von der Firma seine Bestellung im Lager: Eintausendundfünfhundert Kaulquappen aus einem Tümpel aus Nieder-Biedersdorf. Im original Tümpelwasser schwammen sie zufrieden in einem Kanister. Am nächsten Tag sollten sie per Flugzeug zusammen mit dem Lieferanten auf die Reise nach Kambodscha gehen.

Friedlich säuselte der Wind in den Blättern. Der Abend war noch nicht ganz verklungen. Ein Mann im hellen Trenchcoat schlich vorbei an den Müllcontainern zur Pforte von Biogix. Er sah sich mehrmals um, tippte einige Tasten an der Alarmanlage. Das Tor öffnete sich langsam. Eilig zwängte sich der Mann hindurch. So entging ihm, daß aus einem der Müllcontainer eine dunkle Gestalt in einer Kutte sprang. Sie schaffte es gerade noch, durch das Tor zu huschen, bevor es sich schloß. Schnell und leise folgte sie dem Trenchcoat-Mann.

In einem Zimmer des Gebäudes war noch Licht. Frohen Mutes verpackte der Mitarbeiter Bert Fink den Kanister mit den Kaulquappen. Er war eigentlich einer, der Tiere liebte. Nur, um seiner Ex-Frau den Unterhalt zu bezahlen, schuftete er in dieser Firma. Aber wenigstens hatte er zu seiner Verwunderung durchsetzen können, daß er den Transport übernahm. So wußte er wenigstens, daß die Tiere heil an ihrem Bestimmungsort ankamen.
Der Mann im Regenmantel lehnte an der Wand neben Finks Bürotür. Das Betäubungsgas gezückt, lauerte er darauf, daß Fink sich endlich von den Kaulquappen trennte. Plötzlich erhielt er einen kräftigen Schlag auf den Kopf. Verwundert drehte er sich um. Der Bruder in der Kutte starrte ihn erstaunt an. Dann bekam er eine Ladung Gas ins Gesicht. Keuchend wandte er sich ab und trat in den Trenchcoat. Er traf genau die richtige Stelle, der Typ krümmte sich mit zusammengekniffenen Beinen. Aber noch bevor der Bruder ein zweites Mal mit der Keule ausholen konnte, lag er schon am Boden, die Hand des Agenten an der Kehle. Sie balgten sich den Flur entlang, teilten einander Tritte, Knüffe, Schläge aus und schenkten sich nichts, bis sie schließlich eine dreiviertel Stunde später völlig ermattet in einem Lagerraum zwischen ein paar Kisten einschliefen.
Fink hatte den Lärm gar nicht wahr genommen, er war ganz bei seiner Arbeit und machte selber viel Krach mit Klebebandabreißen und Tütengeraschel. Endlich war alles zu seiner Zufriedenheit. Er nahm den eingepackten Kanister und schloß sein Büro ab. In Vorfreude auf die Reise ging er beschwingt zu seinem Auto und fuhr mit den Kaulquappen in seine Wohnung.

Der Flug war ziemlich anstrengend, aber Fink hatte seine gute Laune nicht verloren. Er war gespannt auf das fremde Land und den Forscher. Aus dem Internet hatte er sich Informationen ausgedruckt. Dr. Schmittke war eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen war er aber immer wieder leer ausgegangen, vermutlich weil er so exzentrisch war. Ein echter Wissenschaftler halt.
Fink blickte zufrieden auf den Kanister neben sich. Der Bus fuhr recht schnell, hoffentlich machte den Kaulquappen das Schaukeln nicht so viel aus. Sie kamen durch Dörfer und Wälder. Es wurde langsam dunkel.
Endlich hielt der Bus in einer Einöde. Fink stieg aus. Er sah auf seinen Plan, lud sich sein Gepäck auf, packte den Kanister und marschierte dann querfeldein.
Seine guten Schuhe waren völlig aufgeweicht, als er an ein flaches, großes Gebäude kam. Er stellte sein Gepäck hin, öffnete den Rucksack und zog einen schneeweißen Kittel hervor. Links an der Brusttasche prangte sein Namensschildchen. Er zog ihn sich an, straffte sich, griff den Kanister und klopfte. Die Tür war nur angelehnt. Knarrend öffnete sie sich ein Stück. Verwundert ging Fink einen Schritt hinein.
"Hallo?" rief er schüchtern. Niemand antwortete ihm.
"Hallo?" sagte er noch einmal etwas lauter. Wieder reagierte niemand darauf. Zaghaft kam Fink an die nächste Tür. Sie war ein Stück offen. Er trat ins Labor - ein Bild der Verwüstung. Einige Tische waren umgekippt, Glas zerschlagen, Käfige standen offen. Geräte mit Schläuchen, Apparate mit Knöpfen, alles war zerstört.
Fink starrte mit offenem Mund auf das Chaos. Dann hörte er ein Schlürfen. Verwundert ging er ein paar Schritte in die Richtung, aus er das Geräusch vernommen hatte. Es roch dort sehr streng. Er sah, wie sich ein grauer Brei einen Schlauch hoch bewegte. Der Schlauch endete im Mund eines seltsam dreinblickenden Mannes, der auf einem Regal hockte.
"Sind Sie Doktor Schmittke?" fragte Fink.
Der Mann rollte seine Augen, daß er Fink ansehen konnte. Dann nahm er langsam den Mund vom Schlauch.
"Sind Sie der Doktor ..."
"Pssst", machte der Mann.
Fink ließ sich aber nicht durch das gespenstische Szenario beeindrucken und trat mit entschlossenem Schritt zum Regal, um hinauf zu klettern. Als er das Regal berührte, stob eine schwarze surrende Wolke aus Fliegen hoch. Der Mann blickte verzweifelt auf Fink herunter, bevor sein Gesicht im schwarzen Nebel verschwand. Fink wich entsetzt vom Regal.
"Ich ...äh ... ich liefere die Kaulquappen ..."
Dann wurde ihm bewußt, daß die Tiere noch immer in ihrer Verpackung waren. Hastig entfernte er das Papier und den Deckel vom Kanister. Er half einem Tisch wieder auf die Beine und stellte das Gefäß in die Mitte. Dann kam er zurück zum Regal. Der Mann war wieder zu sehen, die meisten Fliegen hatten sich wieder irgendwo gesetzt.
"Ich bin Schmittke", preßte er durch die Zähne. "Bitte kommen Sie nicht näher."
"Wie lange sind Sie schon da oben?"
"Eine Woche ungefähr ... ich weiß es nicht."
"Und was machen Sie dort?"
"Das ist eine lange Geschichte."
"Ich hab eigentlich Zeit ..."
Schmittke sog erneut am Schlauch. Fink wollte sich setzen und zog einen Stuhl zum Regal. Dadurch scheuchte er wieder Fliegen auf. Schmittke stöhnte, dann kicherte er seltsam. Nun war es ihm egal, und er setzte sich auf. Die Fliegen so gut wie möglich ignorierend, begann er zu erzählen.
"Ich hatte gerade meine neue Erfindung fertiggestellt und wollte, daß einer meiner Assistenten sie ausprobiert. Es handelt sich um eine Tarnkappe. Die Assistenten wollten sie aber nicht testen, also tat ich es selbst. Ich war mir bewußt, daß es einige Nebenwirkungen geben könnte. Aber ich habe ..." Der Doktor spuckte eine Fliege aus. Mit zittriger Stimme fuhr er fort. "Ich wagte es. Genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie hatten auch gerade zu allem Unglück das Gnu geliefert. Ich erinnere mich noch, daß ich versuchte, es zu reiten. Natürlich wehrte es sich und stieß mich in die Ecke, wo der Affenkäfig steht. Der Affe konnte mich noch nie leiden, weil immer ich ihm die Spritzen gegeben hatte, also hatte er eine Bananenschale auf den Boden gelegt, so daß ich ausrutschte, mir den Kopf stieß und bewußtlos geworden sein muß. Als ich wieder zu mir kam, war der Affe weg, und ich war wieder sichtbar. In meiner Verwirrung öffnete ich den Affenkäfig. Das unsichtbare Biest sprang heraus, hüpfte auf das Gnu und setzte ihm die Tarnkappe auf. Der Affe ritt auf dem unsichtbaren Vieh umher. Dann öffnete er sich die Türen und verschwand nach draußen. Das Gnu tobte weiter durch die Räume. Wo es jetzt ist, weiß ich nicht. Aber ich glaube, es haßt mich noch immer, denn es versuchte sich zu rächen und mich seinerseits zu reiten. Ich hab mich auf das Regal hier retten können und esse nun schon seit Tagen diese Krakennahrung."
Gequält blickte er auf den Bottich mit dem grauen Brei.
"Warum kommen Sie denn nicht herunter, und wir gehen irgendwo was essen?" fragte Fink.
Der Doktor lachte kurz hysterisch, dann spuckte er wieder Fliegen aus.
"Haben Sie es nicht begriffen?" flüsterte er verschwörerisch. "Das Gnu haßt mich! Und es ist unsichtbar! Wenn ich runterkomme, stürzt es sich aus irgendeiner Ecke auf mich, um mich zu ... zu reiten." Er kicherte wieder. Dann wurde er traurig. "Das wäre diesmal der Nobelpreis gewesen!"
"Aber Sie können doch nicht ewig da oben bleiben!"
"Doch. Die Krakennahrung reicht noch für eine ganze Weile. Man hat wenig Stuhlgang, da sie hauptsächlich aus Wasser besteht."
Fink blickte auf die unteren Regalfächer, wo sich die meisten Fliegen aufhielten. Angeekelt sah er wieder zum Doktor, der entschuldigend zu lächeln versuchte.
"Kommen Sie doch runter!" meinte Fink. "Hier ist doch kein Gnu ... zu sehen, äh ... Oder ich komme zu Ihnen rauf und helfe Ihnen. Gemeinsam können wir es schaffen."
"Nein!" sagte Schmittke trotzig. "Es ist da! Glauben Sie mir, das Gnu ist hier irgendwo!"
Fink sah sich um. Er fand eine lange Tischplatte und schleppt sie zum Regal. Er konnte sie als Rampe benutzen und lehnte sie an. Vorsichtig kroch er hinauf. Der Doktor rutschte ein bißchen. Hinter ihm kam ein kleines Stinktier hervor und guckte neugierig zu dem Besucher. Schmittke stellte sie einander vor.
"Gustav, das ist der Kaulquappen-Lieferant."
"Ich heiße Bert Fink." sagte Fink nervös.
"Bert, das ist Gustav."
"Sehr erfreut." Fink blickte verstört zu Schmittke. Der lächelte seinen kleinen Freund an. Fink fand kaum Halt.
"Bitte helfen Sie mir, sonst rutsche ich ab!" bat er. Schmittke streckte seinen Arm ein bißchen aus, öffnete seine Hand aber nicht. Mühsam konnte Fink sich am Arm auf das Brett ziehen und setzte sich.
"Was haben Sie da in der Hand?" fragte Fink.
Der Doktor zog seine Faust ein Stück weg.
"Das ist nichts." sagte Schmittke und kicherte wieder seltsam.
"Nun zeigen Sie doch mal!" beharrte Fink.
Als Schmittke sich nicht rührte, griff Fink vorsichtig nach seiner Faust und öffnete sie. In der Handfläche lag ein rostiger Nagel.
"Ein Nagel?" fragte Fink verwirrt.
"Nicht irgendein Nagel", wisperte Schmittke. "Das ist ein besonderer Nagel."
"Was soll daran Besonderes sein?"
"Es ist ... ein Sargnagel." flüsterte Schmittke.
"Ein Sargnagel?"
"Ja. Von meiner Mutter."
"Ein Nagel von dem Sarg Ihrer ..."
"Nein! Von meinem Sarg. Ich bekam ihn zu meinem achtzehnten Geburtstag mit einem Satz Nägel."
"Was?"
"Meine Mutter ist Sargmacherin. Sie wollte immer, daß ich unser Geschäft übernehme, aber ich folgte dem Ruf der Wissenschaft. Als ich nach Kambodscha ging, war sie sehr unglücklich und gab mir den Nagel als Geschenk. Sie meinte, so würde sie wenigstens einen kleinen Teil meiner Zukunft mitgestalten können. Falls ich nicht mehr zurückkomme, verstehen Sie?"
"Aha ..."
"Und nun ... hat der Nagel angefangen, mit mir zu reden."
"Was?"
"Ja, er flüstert immer den selben Satz, wenn ich ihn an mein Ohr halte."
"Das kommt von der Krakennahrung. Wir sollten jetzt wirklich ..."
"Nein, glauben Sie mir, er spricht mit mir."
"Was ... sagt er denn so?"
"Immer dasselbe ... 'Ich weiß, wo du endest' ... " Schmittke blickte wirr ins Leere. Dann sah er sein Stinktier an. Nun lächelte er wieder. "Gustav ist nach ihr benannt."
"Ihre Mutter heißt Gustav?" fragte Fink verwirrt.
"Ja. Ihr Vater wollte immer einen Jungen ..."
Fink runzelte die Stirn. "Kommen Sie, ich weiß, wie es Ihnen bald wieder besser gehen kann. Wir kehren jetzt irgendwo ein und dann ..."
"Ich bleibe hier!"
Entnervt fuhr sich Fink mit dem Ärmel über die Stirn. Er dachte kurz nach. "Na gut ... dann bleibe ich auch!" Er setzte sich trotzig mit verschränkten Armen hin und machte einen entschlossenen Gesichtsausdruck.

Es folgten ein paar Tage, in denen sich beide von Krakennahrung ernährten und keiner nachgeben wollte. Dann eines Morgens plötzlich hörte Fink unheimlich Geräusche.
'Das muß von dem Fraß sein', versuchte er sich zu beruhigen. Der Doktor hielt gerade wieder mit gequältem Blick seine Faust ans Ohr. Dann hörte Fink es wieder.
"Haben Sie das auch gehört?" fragte er. Überrascht, daß der andere den ersten Schritt machte, lauschte Schmittke nun auch. Es war ganz deutlich ein Platschen.
"Das ist das Gnu ..." flüsterte er entsetzt.
"Quatsch!" meinte Fink. Er lauschte noch einmal. "Das ist ... ein Frosch!"
Nun hörte man auch Gequake.
"Oh mein Gott!" Fink schlug sich an den Kopf. "Bald wimmelt es hier nur so von Fröschen! Tausend Frösche, Doktor, wir müssen weg hier!"
"Ich will aber nicht weg!"
"Aber Doktor Schmittke! Die Frösche werden herkommen ... die ganzen Fliegen ... Wir werden hier jämmerlich krepieren ... Was ist das?"
Man hörte noch ein Geräusch. Zuerst ganz leise.
"Doktor! Das ist ein Hubschrauber! Wir sind gerettet, kommen Sie!"
Fink zog an dem Arm des Doktors. Unter großen Anstrengungen schaffte er den sich heftig sträubenden Wissenschaftler schließlich doch vom Regal herunter und zerrte ihn nach draußen. Er brauchte gar nicht zu winken, der Hubschrauber landete direkt vor dem Gebäude.
"Sie kommen ja wie gerufen!" rief Fink freudig, bevor er einen Kinnhaken bekam.

Langsam kam Fink wieder zu sich. Wo war er nur? Neben ihm saß der Doktor und starrte in seine leere Hand.
"Was ist passiert?" stöhnte Fink und rieb sich das schmerzende Kinn.
Schmittke drehte sehr langsam den Kopf zu ihm.
"Wir sind bei der kambodschanischen Geheimpolizei", sagte er ausdruckslos. "Und ich hab meinen Nagel verloren."
Fink setzte sich mühsam auf. Er lachte seltsam. "Also weiß er es doch nicht."
"Wieso?"
Fink verstand seinen Satz nun selbst nicht mehr. Er faßte sich. "Was wollen die von uns?"
"Ich kann es mir schon denken." meinte Schmittke und sah auf seine Fingernägel. "Es ist bestimmt wegen dem Kraken."
"Was für ein Krake?"
"Ach", seufzte Schmittke.
"Nun erzählen Sie schon!"
"Wir hatten einen Tiefseekraken. Der ist aus unserem Labor entwischt."
"Was?"
"Ja, wir hatten ihm Lungen transplantiert und ein bißchen Verdauungstrakt. Und einen Anzug gefertigt aus Chitin, verstehen Sie? Zum Stabilisieren und wegen dem Druck und so. Er hat sich prächtig darin gefühlt. In einem unbeobachteten Augenblick ist er dann einfach abgehauen. Vermutlich hat er den Brei nicht gemocht, wundert mich gar nicht ... oder hat Ihnen das Zeug geschmeckt?"
"Äh, nein, aber ... Lungen? Sie haben ihm Lungen transplantiert?"
"Ja, von einem Menschen ..."
"Von einem Menschen?" Fink blickte ihn entsetzt an.
"Von einem Menschen. Kraken sind sehr intelligent, wissen Sie? Und Tracheen wären viel zu primi..."
"Von einem Menschen?"
"Jaha ... aber von einem toten Menschen, wenn Sie sich jetzt daran stören ..."
"Nein, ich meine ... aber das ... das geht doch gar nicht ... oder?"
"Das ist ja auch eigentlich egal, ich wollte Ihnen nur sagen, daß der Krake verschwunden ist. Und vermutlich wollen die Typen hier wissen, wo er sich aufhalten könnte. Sie planen, ihn irgendwie einzusetzen."
"Ihn irgendwie einzusetzen? Aber wie setzt man denn einen Kraken ein!"
"Keine Ahnung ... er konnte gut klettern, so an der Hauswand, wissen Sie? Mit seinen Saugnäpfen. Die waren ja nicht unter dem Chiti ..."
Der Doktor hielt inne, als die Tür aufflog und vier Kerle hereinkamen. Zwei packten jeweils den Forscher und den Lieferanten und zerrten sie hinaus. Sie wurden in einen anderen Raum gebracht, wo man sie auf zwei Stühle warf. Vor der Tür postierten sich weitere zwei Leute. Ein fies aussehender Typ in Lederjacke beugte sich über einen Schreibtisch und grinste zum Fürchten. Er sagte irgendwas zu einem anderen Lederjackentyp, der neben ihm saß. Der stand auf und ging hinaus.
"Was wollen die denn?" flüsterte Fink.
"Seien Sie still", zischte der Doktor zurück.
Dann kam der Lederjackentyp mit einem kleinen Kerl mit angehender Glatze wieder. Er blickte durch zwei dicke Linsen auf die beiden Gefangenen.
"Guten Tag." sagte er in gebrochenem Deutsch.
"Das ist der Übersetzer", flüsterte Fink überflüssigerweise.
"Guten Tag", sagte er dann.
Der Doktor grüßte ebenfalls.
Der Typ hinter dem Schreibtisch bellte unfreundlich ein paar Sätze.
Der Übersetzer wandte sich an Schmittke.
"Sie sein Wissenschaftler und dein Assistent?"
"Nein, ich bin nicht ..." Fink hob die Hand und gestikulierte kurz. Zwei Burschen sprangen auf ihn zu, daß er lieber wieder still war.
"Ich bin Doktor Schmittke. Und das ist nicht mein Assistent." sagte der Doktor.
Der Übersetzer sprach wieder mit dem Kerl hinter dem Schreibtisch, der abermals unfreundlich ein paar Worte vernehmen ließ. Der Übersetzer blickte wieder zu Schmittke.
"Aber weiße Kittel ..."
"Oh, das ist nur der Kaulquappen-Lieferant." meinte Schmittke.
Der Übersetzer sah hilflos zum Schreibtisch und zuckte mit den Schultern. Der Kerl sprang wütend hoch. Er stieß eine Salve nach Flüchen klingender Worte aus. Dann machte er eine wegwerfende Geste, setzte sich wieder und griff zum Telefon.
Kurz darauf kamen zwei Männer und brachten eine ärmlich gekleidete Frau. Sie blickte verängstigt auf die Männer. Man stellte ihr einen Stuhl hin, sie setzte sich. Dann begann sie zu erzählen. Nach kleinen Abschnitten machte sie Pause, damit der Übersetzer sein Werk tun konnte.
"Nachts kommen Laute in Speisenkammer ... Schmatzen ... Angst, was es sein ... Morgen Kammer leer ... dann neu kaufen Essen .. wieder nachts Schmatzen aus Kammer ... mit Besen reinkommen ... großes Ungeheuer ... essen alles auf ... Ungeheuer wegrennen ... Polizei ... nichts finden ... Dann wieder Laute in Kammer, Wein essen ... Ungeheuer liegen und schnarchen ... Hierher kommen ..."
"Ich glaube, ich verstehe", sagte Schmittke. "Sie wollen, daß wir das Unge ... also den Kraken wieder einfangen."
"Ja." sagte der Übersetzer freundlich.
"Ist gut." meinte Schmittke und zuckte mit den Schultern. "Dazu brauch ich aber einiges ..."
Der Übersetzer sagte ihnen ein paar Augenblicke später alles zu, was sie forderten.

Wenig später fanden sie sich mit einem Experten in Fangtechnik wieder in einem Geländewagen. Sie fuhren zu dem Haus der Frau.
Es lag am Waldrand und war schon etwas verfallen. Sie zeigte ihnen die Speisekammer - ein großes Loch in der Erde im Haus mit einem Bretterdeckel.
Der Doktor deutete den anderen an, sie sollten sich nun entfernen. Fink blieb bei ihm, um ihm zu assistieren. Er hielt einen Korb mit köstlichen Speisen. Käse, Obst, Reis, Saft ... Unten hörten sie den Kraken schnarchen. Als alle weg waren, setzten sie sich hin und aßen.
"Was passiert mit ihm, wenn sie ihn kriegen?" fragte Fink.
"Nun, sie werden ihm vermutlich einsetzen, um was-weiß-ich irgendwelche Bomben irgendwo anzubringen."
"Was?" fragte Fink entsetzt.
"Ja, keine Ahnung ... vielleicht auch nicht ..."
"Aber das ist doch widerlich! Ein unschuldiges Tier!"
"Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um ..."
"Doch! Gerade jetzt! Ich wollte sowieso mal mit Ihnen über Ihre Arbeit reden!"
"Also schön, was schlagen Sie vor?"
"Ich ... äh ... ich schlage vor, wir essen jetzt erst einmal, dann wecken wir den Kraken und ... ist er gefährlich?"
"Nein. Er ist nur schlau."
"Und dann geben wir ihm auch ein bißchen zu essen. Dann verschwindet einer von uns durch den Hintereingang in den Wald. Der Krake kommt doch hinterher, wenn man das Essen hat, oder?"
"Das ist anzunehmen ..."
"Gut. Also muß nur noch der andere das Netz über die leere Grube spannen und den anderen Bescheid sagen. Während sie blöd rumstehen und warten, haut der dann auch ab in den Wald. Klar?"
"Klar ...", sagte der verdutzte Doktor. "Wer lockt den Kraken?"
"Ich schlage vor, das tun Sie."
"Gut."
Sie speisten erst einmal in Ruhe weiter.
Dann vollzogen sie ihren Plan. Es klappte tatsächlich. Der Krake kam unbemerkt mit in den Wald, wo ihm Schmittke die gesamten Reste des Essens überließ.
Fink sagte den anderen, daß sie den Kraken unbedingt den Rausch ausschlafen lassen müßten, wenn sie überleben wollten. Er schlich sich langsam davon, während die anderen gebannt durch die offene Haustür auf einen Zipfel des Netzes starrten.
Sie trafen sich im Wald.
"Was machen wir denn jetzt?" fragte Fink, während sie sich durch das Dickicht schlugen.
"Keine Ahnung", sagte Schmittke.
"Ich muß eigentlich wieder nach Deutschland zurück", fiel Fink ein. "Welcher Tag ist denn heute?"
"Keine Ahnung."
"Wollen Sie nicht mitkommen?" Fink stupste Schmittke an.
"Keine Ahnung."
"Dann tun Sie es doch einfach. Wo ist Ihr Paß?"
"Kei ... im Labor."
"Na gut, dann gehen wir wieder dorthin zurück ... Da ist ja auch noch mein Gepäck."
Sie liefen noch eine Weile durch den Wald, bevor sie an eine Bushaltestelle kamen.

Einige Stunden später standen beide in frischer Kleidung auf dem Flughafen. Schmittke hatte Gustav in seinem Mantel versteckt. Im Flugzeug atmeten beide auf. So richtig sicher fühlte sich Fink aber erst, als sie in Deutschland landeten.
"Kommen Sie", Fink war ein bißchen aufgedreht. "Sie können bei mir übernachten."
Draußen stand eine lange Warteschlange vor dem Taxistand.
"Oje", seufzte Fink. "Dann fahren wir eben wieder mit dem Bus."
Sie machten sich auf den Weg in Richtung Bushaltestelle, als ein freies Taxi neben ihnen langsamer wurde.
"Brauchen Sie ein Taxi?" fragte der Fahrer. Sie nickten. Dann hielt er und stieg aus.
"Sie kommen ja wie gerufen!" rief Fink erfreut, bevor er einen Kinnhaken bekam.

Als er wieder zu sich kam, befanden sie sich in einem dunklen Raum.
"Ich verstehe das nicht!" jammerte Fink. "Was wollen die denn?"
"Keine Ahnung", sagte der Doktor.
Knarrend öffnete sich eine schwere Tür. Vier Männer in Kutten kamen herein. Sie packten die beiden und brachten sie in einen anderen Raum. Dort saß der Oberpriester und lächelte zufrieden.
"Sie sind ja ein Goldjunge." sagte er zu Fink.
"Was?"
"Wir wollten den Doktor selber holen, aber das haben Sie ja nun für uns erledigt."
"Was?" fragte Schmittke.
"Was?" fragte Fink. "Das ist ein Mißverständnis .. ich ..."
"Halten Sie den Mund!" fuhr ihn der Priester an. Dann wandte er sich an Schmittke. "Seit der Abreise dieses Lieferanten warteten wir auf jedes Flugzeug aus Kambodscha. Wir wollen ihn Billy opfern ... gut, daß er Sie mitgebracht hat ... Sie sind eine Koryphäe auf Ihrem Gebiet. Es ist uns eine große Ehre, daß Sie uns besuchen. Wir haben ein Problem, das nur Sie lösen können."
"Ach ..."
"Ja. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, worum es geht."
Sie zogen den entsetzten Fink und den ein wenig verlegenen Schmittke in den Tempel.
Vor einem großen Wandteppich blieben sie stehen.
"Sehen Sie? Das ist die Geschichte unserer Höhlenmalerei. Hier sehen Sie, wie man das Bildnis entdeckt hat."
Er wies auf eine Abbildung, die mehrere Männer in altertümlicher Kleidung zeigte. Die standen vor einer Felswand, die das Bild von zuRgnu zeigte. Neben ihm waren einige Schriftzeichen, die man mit Mühe als das Wort "Billy" deuten konnte. Aber wer oder was Billy war, konnte man nicht erkennen, da der Fels an dieser Stelle zerbröckelt war. Das nächste Bild zeigte einen Mann, der rötliche Steine vor einer kaputten Felswand aufsammelte.
"Unsere Brüder wußten lange Zeit nicht, wer Billy ist, bis einer von ihnen vor einigen Jahren die Erscheinung zuRgnus in einer Kellermauer fand. Und neben ihm fanden wir auch endlich ein Abbild von Billy. Es handelt sich um einen Hund, einen Afghanen, wie wir glauben. Wir gruben fast ein Jahr, um einen Gang herzustellen. Wenn Sie wünschen, können wir uns das Bildnis mal ansehen. Es ist an der Wand in einem Keller hier ganz in der Nähe."
"Äh, nein ...", sagte Schmittke.
"Nun gut. Leider zerstörte ein Erdrutsch die Höhle. Alles, was wir hatten, waren ein paar Zeichnungen von den Höhlenforschern und die Steine mit Billys Blut. Sie sind hier in der Vitrine aufbewahrt." Er zeigte auf eine silberne Schale hinter Glas.
Die anderen Brüder standen in ehrfürchtigem Abstand und sahen gespannt zu Schmittke.
"Woher wissen Sie, daß es sich um Blut und nicht um einfache Farbe handelt?" fragte der Doktor interessiert.
"Aber Doktor!" Der Priester grinste.
"Haben Sie es untersuchen lassen?"
"Wo denken Sie hin!" sagte der Priester entrüstet. "Wir geben doch göttliche Artefakte nicht in Nihilistenhände. Gottheitsbilder sind immer mit dem Blut der Götter gemalt. Wissen Sie das nicht?"
"Ja aber ..." Fink trat ihm unbemerkt leicht vors Schienbein.
"Doch, natürlich weiß ich das." sagte Schmittke da.
"Und wir wollen nun, daß Sie uns Billy klonen."
"Ich soll was?"
"Ja. Sie haben richtig gehört. Sie sollen uns Billy klonen, damit ihm zuRgnu, der Unendliche in die Reinkarnation folge."
"Aber ich habe noch nie geklo ..." Wieder bekam er einen Tritt. "Ja aber ... ich ...äh ...."
"Was würden Sie dazu brauchen?"
"Ich brauche ... also ich ..."
Ein Handy klingelte.
"Verdammt!" zischte der Butler. "Jetzt ist Schluß!"
Er stampfte wütend zum Ausgang.
"Was hat er denn?" lenkte Schmittke ein bißchen ab.
"Nichts, mein Freund." sagte der Priester. "Er erfüllt nur weltliche Pflichten."
"Aber nicht mehr lange!" rief der Butler zornig. "zuRgnus Wiederkehr ist nahe! Die Monarchie dieses Westentaschenkönigs ist endgültig dem Untergang geweiht! Es lebe die Freiheit! Es lebe zuRgnu, der Unendliche, und sein Hund Billy!"
"Hurra!" schrien da alle Brüder.
Schmittke und Fink sahen sich entsetzt an. Der Butler stürmte hinaus.
"Also", sprach der Priester, "hier sind die Steine." Er schob den Doktor mit Bestimmtheit zur Vitrine.
"Wie lange wird es dauern, bis wir Billy haben?"
Schmittke suchte gerade nach Worten, als man lautes Geschrei und Proteste hörte. Die Tür ging auf und der Butler zog einen keifenden Edi in seiner Königskluft in den Tempel.
"Hier, du Wurmfortsatz!" schrie der Butler grimmig. "Hier siehst du wahre Göttlichkeit, Königlichkeit, Heiligkeit!"
Edi blickte verwirrt in die Runde.
"Das Ende deiner Herrschaft steht bevor! zuRgnu und sein Hund Billy werden erscheinen, und alle Ungläubigen werden in der Hölle schmoren!"
Von nun an ging alles sehr schnell:
Edi riß sich los. Er stürzte auf die beiden einzigen Personen zu, die ihm normal erschienen, Schmittke und Fink. Aber Schmittke hatte noch immer Gustav in seiner Tasche. Er guckte kurz heraus, roch Edis Mantel und sprang in Liebe entflammt auf den Kragen. Sofort sonderte er sein Sekret ab, um seine Eroberung zu beeindrucken. Entsetzt wandten sich alle ab und hielten sich die Nasen zu. Edi kreischte und warf den Mantel ab. Geistesgegenwärtig packte Fink den Königsmantel und schleifte ihn mit dem sich darauf suhlenden Gustav zur Tür.
"Kommen Sie", rief er zu Schmittke.
Der riß noch die Vitrine um, worauf sich die Brüder um die Steine versammelten und ein Gebet anstimmten.
Edi ging mit einem rituellen Gegenstand auf seinen Butler los, traf aber den Priester, der zu Boden ging.
Schmittke und Fink eilten in den Fahrstuhl.

"Was machen wir nun?" fragte Fink, als sie an der Bushaltestelle saßen.
"Keine Ahnung", sagte Schmittke und streichelte Gustav, der ein bißchen enttäuscht aussah.
"In die Firma will ich nicht mehr zurück", stellte Fink fest.
"Ja ... ich will auch keine Experimente mehr machen." sagte Schmittke. "Aber meine Tarnkappe, die hätte ich schon gerne wieder. Das wär der Nobelpreis gewesen."
"Wie wäre es, wenn wir nach Kambodscha zurückkehrten, um das Gnu zu suchen?"
"Wie wollen wir das denn finden? Es ist doch unsichtbar." seufzte Schmittke.
"Aber es ist das einzige Gnu, das ... einen Mann reiten will.
"Erinnern Sie mich bloß nicht daran!" Sie grinsten beide.
"Eigentlich könnten wir auch 'du' sagen, oder?" schlug Fink vor.
"In Ordnung", sagte Schmittke, "ich heiße Grit."
"Äh ..."
"Ja, meine Mutter wollte immer ein Mädchen."
Dann kam der Bus. "Ich bin Bert", sagte Fink beim Einsteigen.

(Quelle: www.kurzgeschichten.de, 2003)

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